«In der Westwand des Annapurna begann sich plötzlich alles vor meinen Augen zu drehen.»

Hirnschlag in luftiger Höhe - Jean Troillet erzählt.

Letzten Herbst wars: Der Walliser Alpinist Jean Troillet erklimmt gerade eine eisüberzogene Bergflanke im Himalaya - doch ein Hirnschlag verhindert den Gipfelsturm.

«Alles lief wie am Schnürchen. Wir befanden uns in der Westwand des Annapurna auf der Messner-Route», erinnert sich der Walliser Abenteurer, Alpinist und Bergführer Jean Troillet. «Wir waren bereits rund 800 Meter in sehr steilem Gelände voller Eis und Schnee hochgestiegen und es trennten uns nur noch etwa 50 Meter von der kleinen Plattform, auf der wir biwakieren wollten. Jean-Yves Frederiksen, genannt „Blutch“, befestigt Seil und Eisschraube. Ich klinke mich ein und weiter gehts. Plötzlich aber beginnt sich alles vor meinen Augen zu drehen... ich klammere mich an die beiden Karabinerhaken an der Eisschraube und frage mich, was mit mir los ist. Nach einiger Zeit kann ich zwar wieder klar sehen, doch ich kann mein Gleichgewicht nicht halten und falle immer wieder zurück. Schliesslich bleibt uns nichts anderes übrig als umzukehren...»

«Ich dachte zuerst, es sei das Innenohr.»

Mit der Hilfe von Blutch geht es zurück. 150 Meter bis zum ersten Biwak. Am nächsten Tag weiter. Der Gleichgewichtssinn von Jean Troillet ist immer noch gestört, «doch auf allen Vieren, mit zwei Steigeisen und Pickeln, ging es irgendwie – ganz sachte im Rückwärtsschritt.» Weiter unten erhalten sie Hilfe von Sherpas und Kameramännern und erreichen schliesslich das Basislager, wo sie noch eine Woche bleiben und auf Besserung hoffen. «Da mein Gleichgewicht betroffen war, dachte ich, es handle sich um ein Problem mit dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr. Dass es ein Hirnschlag sein könnte, hätte ich nie gedacht. Blutch hatte ganz diskret einen Arzt angerufen und mich behutsam darauf hingewiesen, dass es etwas mit dem Hirn zu tun haben könnte. Ich wollte davon aber nichts wissen...»

«Todmüde»

Gleichzeitig erleidet Jean Troillet eine Bakterieninfektion. Er bekommt Magenprobleme, isst nichts mehr und verliert 10 Kilo. Nun ist der Moment da, in dem er sich entscheidet, einen Helikopter kommen zu lassen. Über Kathmandu geht es zurück in die Schweiz. Dort kommt Troillet «todmüde» an. «Ich schlief nur noch die ganze Zeit und fragte mich, was mit mir los ist. Also ging ich zu meinem Hausarzt und danach zu einem HNO-Spezialisten. Da sich mein Zustand nicht besserte, wurde ein Neurologe hinzugezogen.» Nach ein paar Untersuchungen wird ein Scanner-Termin organisiert. «Da sich auch mein Magen nicht beruhigen wollte, sprach meine Frau Mireille ein Machtwort und schickte mich in die Notfallaufnahme...»

«Blutverdünner? Der Gedanke daran beunruhigte mich»

In der Notfallaufnahme des Spital Wallis in Sitten «ging alles sehr gut und sehr schnell über die Bühne.» Es werden Herzrhythmusstörungen festgestellt und der Scanner zeigt ein Blutgerinnsel im Hirn. Nachdem das Gerinnsel entfernt ist, erhält Jean Troillet ein Rezept für ein Antikoagulans, also einen Blutverdünner – und zwar lebenslänglich. «Der Gedanke daran beunruhigte mich sehr. Ich wollte keinen Blutverdünner, weil ich Angst davor hatte, mich beim Bergsteigen zu verletzen und dann stark zu bluten. Doch heute weiss ich, dass der Blutverdünner kein Problem ist. Ich habe von Haus aus ziemlich dickes Blut

«Der Weg ist das Ziel, nicht der Gipfel»

Grund für die Herzrhythmusstörungen, die bei Jean Troillet zum Hirnschlag führten, könnte eine Dehydratation, also ein Wassermangel, gewesen sein. «Falls dem wirklich so ist, wäre dies für mich eine hochinteressante Erkenntnis. Dann müsste ich künftig einfach nur darauf achten, genügend zu trinken.» Der Abenteurer aus La Fouly denkt nämlich nicht ans Aufhören. «Natürlich mache ich weiter», sagt er und erzählt von seinen Grönland-Plänen für das Jahr 2013 und von der Physiotherapie, die ihm geholfen hat, 90% seines Gleichgewichts zurückzuerlangen. Ein Wermutstropfen bleibt: «Mit den 8000ern werde ich wohl aufhören müssen. Aber ich habe ja noch andere Träume. Und auf das Gipfelfoto verzichte ich gerne, denn nicht der Gipfel ist das Ziel, sondern der Weg und die Menschen, mit denen man unterwegs ist. Was am Schluss zählt, sind sowieso nur die Freundschaften und die Schönheiten einer Reise